Friday, June 22, 2012

MOSLEMS UND JUDEN AM KAP DER GUTEN HOFFNUNG


Wieder und wieder, wahrscheinlich noch für sehr lange Zeit wird über den Konflikt im Nahen Osten berichtet werden.

Wie wäre es mit einem Blick in eine recht weit davon entfernte Weltgegend, wo es zwischen den beiden kulturellen Gruppen friedlich zugeht? Im folgenden Bericht sollen andere Religionsgemeinschaften - meist christlichen Ursprungs - , von denen es im modernen Südafrika noch hundert wenn nicht tausend andere gibt, ausser acht gelassen werden.

Im Kapstadt zu Beginn des 21. Jahrhunderts leben ca. 300000 Sunni-Moslems, denen ca. 17000 Einheimische jüdischen Glaubens gegenüberstehen. Es gibt hunderte Moscheen in der Stadt, die sich auf einige Stadtviertel konzentrieren und einige Synagogen, davon die älteste des ganzen Landes.

Auch die älteste Moschee Südafrikas steht in der Stadt am Tafelberg und befindet sich in einem historischen, im Alltagsgebrauch Malaien-Viertel genannten Teil des Stadtzentrums (Bo-Kaap). Diese Moschee wurde kurz nach 1795 - dem Jahr des Bankrotts der holländisch-ostindischen Handelsgesellschaft, die bis dahin die Kapkolonie kontrollierte – offiziell eingeweiht, mindestens sechzig Jahre vor der ersten Synagoge.

Die Gründer dieser Moscheen waren befreite Sklaven bzw. Nachfahren von Sklaven oder nach Kapstadt Verbannten mit kriminellem Hintergrund oder politischen Gefangenen. Die meisten wurden aus holländischen Besitzungen in Ostasien, der eine oder andere aus Afrika - Mozambique, Madagaskar - eingeschleppt.

Häufig begegnet man erwachsenen Frauen mit Kopftuch, am Arbeitsplatz, im Kaufhaus, Supermarkt, in einer Bankfiliale oder bei Behörden. Auch vollständig in Burkas gehüllte Frauen sind im Alltagsleben wahrnehmbar. Bei den Männern sind Sutanen nicht gänzlich unüblich, vor allem, wenn sie zum Freitagsgebet gehen und z.B. vorher ihre Geschäfte für die Mittagsstunde an diesem Wochentag schliessen. Der eine oder andere schmückt sich mit sehr langem Bart. Aus den Lautsprechern der Minarette ertönt aus Lautsprechern der Ruf zum Gebet.

Im Kapland stellen auch die Feiertage eine Besonderheit dar. An islamischen Feiertagen kommen Gläubige dieser Religionsgruppe nicht zur Arbeit, gleiches gilt dementsprechend für ihre jüdischen Mitbürger.

Tausende Moslems versammeln sich am Ende des Fastenmonats Ramadan abends auf der Strandpromenade in Seapoint, um die ersten Anzeichen des Neumonds ausgiebig zu feiern. Dieses allseits populäre Ausflugsziel liegt ausgerechnet in jenem europäisch geprägten, dichtbesiedelten Stadtteil, wo sich ein beachtlicher Teil der Immobilien in jüdischer Hand befindet.

Die Ursprünge des jüdischen Bevölkerungsanteils am Kap der Guten Hoffnung gehen auf andere geschicht-liche Umstände zurück. Eine regelrechte Einwanderungswelle setze gegen Ende des 19. Jh. aus osteuropäischen Ländern ein. Infolge von Judenpogromen vor allem in Litauen und unter dem Zaren suchten viele osteuropäische Juden Zuflucht in einem Land, das zum britischen Empire unter Königin Viktoria gehörte, und mit dem Goldrausch in Johannesburg zeitgleich gute Perspektiven zu bieten schien.

Hier hielten Nachkommen europäischer Einwanderer schon zweihundert Jahre lang das Heft in der Hand und es hatte bereits einige Zuwanderer jüdischen Glaubens gegeben. Hauptsächlich nach Kapstadt und ins Hinterland, nachdem Grossbritannien 1806 die holländische Kapkolonie annektiert hatte und deutsche und englische Juden dort eintrafen.

Kapitalstarke Randbarone in Transvaal, Straussenbarone in Oudtshoorn, Barney Barnato, Ernest Oppenheimer und zahlreiche andere haben den industriellen Aufstieg Südafrikas stark geprägt. Unter den Gründern der kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) waren zahlreiche jüdische Intellektuelle.
Manche kamen nach Hitlers Machtergreifung und deren Folgen, aber schon 1936 wurde dieser Einwanderungsbewegung durch die Regierung in Pretoria massiv Einhalt geboten.

Manchmal werden Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Gruppierungen lautstark aber immerhin gewaltfrei ausgetragen. Beispielsweise wenn sich radikalislamische Selbstmordattentäter in westlichen Ländern in die Luft sprengen oder wenn Israels Armee zu drakonischen Massnahmen im Gazastreifen oder in den besetzten Gebieten greift.

Wenn ein international geachteter Jurist wie Richard Goldstone, der in der Apartheidszeit als liberaler Richter die Rassentrennungsgesetze unterminierte und später von Nelson Mandela an das Verfassungsgericht der neuen, demokratischen Republik berufen wurde, ein offizielles Dossier über die Lebensbedingungen im Westjordenland verfasst, schlägt ihm viel Hass entgegen. Er wurde als Chefankläger an das UN Tribunal zur Aufklärung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und nach dem Völkermord in Ruanda berufen und...er ist Jude.

Böses Blut floss in Kapstadt vor allem in der Apartheidszeit. In den siebziger Jahren wurde der sog. District Six (6. Stadtbezirk) von den Apartheidsbehörden nach und nach plattgewalzt. 65000 farbige oder dunkelhäutige Einwohner verloren durch politisch und rassistisch motivierte Repression ihre Heimat. Interessanterweise gehörten viele der Immobilien jüdischen Bürgern europäischer Herkunft, denen jedoch das Schicksal ihrer nicht-weissen Mitbürger im Grossen und Ganzen gleichgültig blieb.

Umso erstaunlicher die Äusserung des moslemischen Eigentümers eines alteingessessenen Lederwarengeschäfts ganz in der Nähe der populären Long Street, dessen Urahn zu den allerersten zwangsweisen Exilanten aus Ostasien im frühen 18. Jahrhundert zählte. Er meint, nachdem er starken Groll über die Yankees in den USA vorgebracht hat: ich kaufe meine Lederhäute beim Juden ein, kein Problem.

Vor ein paar Jahren kam es zu folgendem Zwischenfall. In einer auflagenstarken Tageszeitung wurde ein Foto mit dem Autokennzeichen NAZI WP abgebildet. Die Leserbriefe überschlugen sich. Die Fans mit islamischer Perspektive argumentierten, NAZI sei ein Spitzname, mithin nur eine harmlose Abwandlung des Vornamens NAZEEMA. Die Gegenseite brachte den Holocaust ins Spiel.

Da es sich um ein persönliches Wunschkennzeichen handelte, stand die Buchstabenkombination WP vor-schriftsmässig für Western Province, also die föderale Provinz Westkap, wohingegen der Begriff NAZI zweifellos persönlicher Vorliebe entsprang. Eine antisemitische Verschwörung?

Schliesslich trafen der oberste Moslemrat, der Vorstand der Jüdischen Gemeinschaft sowie die Kfz.-Zulas-sungsbehörde der Stadtverwaltung zu Beratungen zusammen. Es wurde einvernehmlich beschlossen, dieses Autokennzeichen einer Muslima aus dem Verkehr zu ziehen.

Im Vorlauf zur Fussballweltmeisterschaft 2010 gab es knisternde politische Konstellationen. Bis 2009 war der Ministerpräsident der Westkapprovinz ein Politiker namens Ibrahim Rasool, Mitglied des ANC, Mandelas Befreiungsbewegung. Wenn man seine Fotos betrachtete, wurde klar, dass seine Vorfahren irgendwann ,wahrscheinlich unfreiwillig, aus Ostasien eingewandert waren.

Gleichzeitig war damals als Oberbürgermeisterin der Millionenstadt Kapstadt Helen Zille im Amt, eine Großnichte des Berliner Milieumalers Heinrich Zille. Ihre Eltern waren unabhängig voneinander in den 30er Jahren aus Nazi-Deutschland nach Johannesburg ausgewandert, um der Judenverfolgung zu entkommen.

Heutzutage ist als Oberstadtdirektor von Kapstadt nach wie vor Achmat Ebrahim in Amt und Würden, während Zille selbst als Ministerpräsidentin die Provinz regiert. Hakuna matata, funktioniert prächtig!

horst4africa@gmail.com 


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