Wieder und wieder, wahrscheinlich noch für sehr
lange Zeit wird über den Konflikt im Nahen Osten berichtet werden.
Wie wäre es mit einem Blick in eine recht weit
davon entfernte Weltgegend, wo es zwischen den beiden kulturellen Gruppen
friedlich zugeht? Im folgenden Bericht sollen andere Religionsgemeinschaften -
meist christlichen Ursprungs - , von denen es im modernen Südafrika noch
hundert wenn nicht tausend andere gibt, ausser acht gelassen werden.
Im Kapstadt zu Beginn des 21. Jahrhunderts leben
ca. 300000 Sunni-Moslems, denen ca. 17000 Einheimische jüdischen Glaubens
gegenüberstehen. Es gibt hunderte Moscheen in der Stadt, die sich auf einige
Stadtviertel konzentrieren und einige Synagogen, davon die älteste des ganzen
Landes.
Auch die älteste Moschee Südafrikas steht in der
Stadt am Tafelberg und befindet sich in einem historischen, im Alltagsgebrauch
Malaien-Viertel genannten Teil des Stadtzentrums (Bo-Kaap). Diese Moschee wurde
kurz nach 1795 - dem Jahr des Bankrotts der holländisch-ostindischen
Handelsgesellschaft, die bis dahin die Kapkolonie kontrollierte – offiziell
eingeweiht, mindestens sechzig Jahre vor der ersten Synagoge.
Die Gründer dieser Moscheen waren befreite Sklaven
bzw. Nachfahren von Sklaven oder nach Kapstadt Verbannten mit kriminellem
Hintergrund oder politischen Gefangenen. Die meisten wurden aus holländischen
Besitzungen in Ostasien, der eine oder andere aus Afrika - Mozambique,
Madagaskar - eingeschleppt.
Häufig begegnet man erwachsenen Frauen mit
Kopftuch, am Arbeitsplatz, im Kaufhaus, Supermarkt, in einer Bankfiliale oder
bei Behörden. Auch vollständig in Burkas gehüllte Frauen sind im Alltagsleben
wahrnehmbar. Bei den Männern sind Sutanen nicht gänzlich unüblich, vor allem,
wenn sie zum Freitagsgebet gehen und z.B. vorher ihre Geschäfte für die
Mittagsstunde an diesem Wochentag schliessen. Der eine oder andere schmückt
sich mit sehr langem Bart. Aus den Lautsprechern der Minarette ertönt aus
Lautsprechern der Ruf zum Gebet.
Im Kapland stellen auch die Feiertage eine
Besonderheit dar. An islamischen Feiertagen kommen Gläubige dieser
Religionsgruppe nicht zur Arbeit, gleiches gilt dementsprechend für ihre
jüdischen Mitbürger.
Tausende Moslems versammeln sich am Ende des
Fastenmonats Ramadan abends auf der Strandpromenade in Seapoint, um die ersten
Anzeichen des Neumonds ausgiebig zu feiern. Dieses allseits populäre
Ausflugsziel liegt ausgerechnet in jenem europäisch geprägten, dichtbesiedelten
Stadtteil, wo sich ein beachtlicher Teil der Immobilien in jüdischer Hand
befindet.
Die Ursprünge des jüdischen Bevölkerungsanteils am
Kap der Guten Hoffnung gehen auf andere geschicht-liche Umstände zurück. Eine
regelrechte Einwanderungswelle setze gegen Ende des 19. Jh. aus osteuropäischen
Ländern ein. Infolge von Judenpogromen vor allem in Litauen und unter dem Zaren
suchten viele osteuropäische Juden Zuflucht in einem Land, das zum britischen
Empire unter Königin Viktoria gehörte, und mit dem Goldrausch in Johannesburg
zeitgleich gute Perspektiven zu bieten schien.
Hier hielten Nachkommen europäischer Einwanderer
schon zweihundert Jahre lang das Heft in der Hand und es hatte bereits einige
Zuwanderer jüdischen Glaubens gegeben. Hauptsächlich nach Kapstadt und ins
Hinterland, nachdem Grossbritannien 1806 die holländische Kapkolonie annektiert
hatte und deutsche und englische Juden dort eintrafen.
Kapitalstarke Randbarone in Transvaal,
Straussenbarone in Oudtshoorn, Barney Barnato, Ernest Oppenheimer und
zahlreiche andere haben den industriellen Aufstieg Südafrikas stark geprägt.
Unter den Gründern der kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) waren
zahlreiche jüdische Intellektuelle.
Manche kamen nach Hitlers Machtergreifung und deren
Folgen, aber schon 1936 wurde dieser Einwanderungsbewegung durch die Regierung
in Pretoria massiv Einhalt geboten.
Manchmal werden Meinungsverschiedenheiten zwischen
beiden Gruppierungen lautstark aber immerhin gewaltfrei ausgetragen.
Beispielsweise wenn sich radikalislamische Selbstmordattentäter in westlichen
Ländern in die Luft sprengen oder wenn Israels Armee zu drakonischen Massnahmen
im Gazastreifen oder in den besetzten Gebieten greift.
Wenn ein international geachteter Jurist wie
Richard Goldstone, der in der Apartheidszeit als liberaler Richter die Rassentrennungsgesetze
unterminierte und später von Nelson Mandela an das Verfassungsgericht der
neuen, demokratischen Republik berufen wurde, ein offizielles Dossier über die
Lebensbedingungen im Westjordenland verfasst, schlägt ihm viel Hass entgegen. Er
wurde als Chefankläger an das UN Tribunal zur Aufklärung von Kriegsverbrechen
im ehemaligen Jugoslawien und nach dem Völkermord in Ruanda berufen und...er
ist Jude.
Böses Blut floss in Kapstadt vor allem in der
Apartheidszeit. In den siebziger Jahren wurde der sog. District Six (6.
Stadtbezirk) von den Apartheidsbehörden nach und nach plattgewalzt. 65000
farbige oder dunkelhäutige Einwohner verloren durch politisch und rassistisch
motivierte Repression ihre Heimat. Interessanterweise gehörten viele der Immobilien
jüdischen Bürgern europäischer Herkunft, denen jedoch das Schicksal ihrer
nicht-weissen Mitbürger im Grossen und Ganzen gleichgültig blieb.
Umso erstaunlicher die Äusserung des moslemischen
Eigentümers eines alteingessessenen Lederwarengeschäfts ganz in der Nähe der
populären Long Street, dessen Urahn zu den allerersten zwangsweisen Exilanten
aus Ostasien im frühen 18. Jahrhundert zählte. Er meint, nachdem er starken
Groll über die Yankees in den USA vorgebracht hat: ich kaufe meine Lederhäute beim
Juden ein, kein Problem.
Vor ein paar Jahren kam es zu folgendem
Zwischenfall. In einer auflagenstarken Tageszeitung wurde ein Foto mit dem
Autokennzeichen NAZI WP abgebildet. Die Leserbriefe überschlugen sich. Die Fans
mit islamischer Perspektive argumentierten, NAZI sei ein Spitzname, mithin nur
eine harmlose Abwandlung des Vornamens NAZEEMA. Die Gegenseite brachte den
Holocaust ins Spiel.
Da es sich um ein persönliches Wunschkennzeichen
handelte, stand die Buchstabenkombination WP vor-schriftsmässig für Western
Province, also die föderale Provinz Westkap, wohingegen der Begriff NAZI
zweifellos persönlicher Vorliebe entsprang. Eine antisemitische Verschwörung?
Schliesslich trafen der oberste Moslemrat, der
Vorstand der Jüdischen Gemeinschaft sowie die Kfz.-Zulas-sungsbehörde der
Stadtverwaltung zu Beratungen zusammen. Es wurde einvernehmlich beschlossen,
dieses Autokennzeichen einer Muslima aus dem Verkehr zu ziehen.
Im Vorlauf zur Fussballweltmeisterschaft 2010 gab
es knisternde politische Konstellationen. Bis 2009 war der Ministerpräsident
der Westkapprovinz ein Politiker namens Ibrahim Rasool, Mitglied des ANC,
Mandelas Befreiungsbewegung. Wenn man seine Fotos betrachtete, wurde klar, dass
seine Vorfahren irgendwann ,wahrscheinlich unfreiwillig, aus Ostasien
eingewandert waren.
Gleichzeitig war damals als Oberbürgermeisterin der
Millionenstadt Kapstadt Helen Zille im Amt, eine Großnichte des Berliner
Milieumalers Heinrich Zille. Ihre Eltern waren unabhängig voneinander in den
30er Jahren aus Nazi-Deutschland nach Johannesburg ausgewandert, um der
Judenverfolgung zu entkommen.
Heutzutage ist als Oberstadtdirektor von Kapstadt
nach wie vor Achmat Ebrahim in Amt und Würden, während Zille selbst als
Ministerpräsidentin die Provinz regiert. Hakuna matata, funktioniert prächtig!
horst4africa@gmail.com
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